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Pflanzensud küsst Eisenwasser


All die Blogposts über Baumgeschichten und Herbstfarben brachten beigebraun gefärbte Leinenstücker hervor. In den letzten Wochen durften diese in einem Bad weiter reifen und aufregende Farben und faszinierende Muster hervorbringen.

 

Pflanzenfarbstoffe 

Bereits in "Hasenzahn und Güldenkraut" experimentierte ich mit Pflanzenfarben. Allerding nicht, um daraus Pigmente zu gewinnen, sondern um Textilien einzufärben. Im Rahmen von "waldtrunken!" griff ich dieses Thema wieder auf. Die Herbstblätter luden mich ein, auch sie auf ihre Farbstoffabgabe hin zu testen. Welche Nuancen verfärbtes Laub hervorbringt, siehst du hier in der Serie über Herbstfarben.

 

Von warm zu kühl, von hell zu dunkel

Um die warmtonige Färbung in eine kühle Richtung zu schieben und weiter zu verändern, braucht es rostige Eisenteile. Die hat man üblicherweise nicht gerade bei sich Zuhause rumliegen, ausser du hast ein altes Haus mit ebensolcher Werkstatt erworben, in die seit ewiger Zeit kein Hobbyhandwerker mehr ein Fuss gesetzt hast. Davon gehe ich eher nicht aus, daher hier zwei weitere Tipps, wie du zu rostigen Eisenstücken kommst:

Gibt es in deinem Umfeld eine Baustelle? Umrunde sie mit gesenktem Blick und sammle auf, was rostig aussieht.

Wohnst du in einer Stadt mit "Bsetzisteinen"? Dann ist es leicht: Was sich in deren Ritzen und Spalten an Altmetall verbirgt, ist erstaunlich.

 

Eisensuche - Eisensucht

Innerhalb kurzer Zeit hatte ich bei meiner Suche eine Menge rostiger Eisenstücke herausgeklaubt. Natürlich nicht ohne einen Aufmerksamkeitsfaden zum Strassenverkehr hin gerichtet zu haben. Tatsächlich wurde ich dabei mehrmals angesprochen, als ich mitten auf der Strasse mit kleinen Schritten und gesenktem Kopf den Boden absuchte. Liebe Menschen wollten mir suchen helfen, bei dem, was ich möglicherweise verloren hatte.

 

Wenn ich ein besonders schöner, grosser Klumpen entdeckt hatte, war die Jägerin in mir geweckt. Eifrig versuchte ich, die zwischen den Steinen eingeklemmte Trophäe herauszuhebeln. Bereits gefundene Nägel, meine Finger und der Veloschlüssel halfen mir dabei. Meine Augen glänzten, und ich konnte nicht von meinem Fund ablassen. Wenn das Teil total feststeckte, fühlte ich Enttäuschung. Wenn es mir hingegen gelang, es in meinen Besitz zu bringen, triumphierte ich. Innerlich, aber nicht nur. Manche Teile waren durch die Korrosion ganz bröckelig, andere glänzen auf der Oberseite glatt poliert von zahlreichen Autoreifen, die darüber geglitten sein mussten.

 

Schwarzwasser

Zuhause gab ich die Stücke in ein Glas voll Leitungswasser und liess es stehen. Mindestens zehn Tage, besser 14 oder noch länger dauert es, bis das Wasser schwarz wird. Ist es so weit, gehen die gefärbten Leinenstücke baden. Dort verweilen sie ein bis zwei Tage. Je länger, je dunkler wird das Farbergebnis. Die Intensität, die Tiefe und der Farbton, der daraus entsteht, hat mit den in den Pflanzenteilen der ersten Färbung enthaltenen Gerbstoffen zu tun. Je mehr, je wilder wird das Resultat. Die Stoffstücke können ohne jede weitere Behandlung in das Wasser gelegt oder auch nur getunkt werden. Unter deinen Augen wird sich der Stoff verfärben. Oder du faltest oder rollst die Textilien. Das Gewebe kann mit Schnur eingewickelt oder mit Faden abgebunden werden. Auch Klammern oder Gummibänder geben interessante Ergebnisse.

 

Meist habe ich abends Stoffstücke vorbereitet und sie bis am nächsten oder übernächsten Morgen ins Schwarzwasser geschickt. Was glaubst du, wie oft ich schon im Pyjama vor dem ersten Kaffee die Stoffe aufgefaltet und ausgewaschen habe? Waren sie meines Erachtens noch nicht interessant genug, faltete ich sie um und gab sie zurück ins Eisenwasser. Oder sie machten noch eine Schwimmrunde in einem kochenden Laubsud und tauchten danach noch mal ab.

 

Beständig im Wasser - und am Licht? 

Tatsächlich scheint diese Farbe waschecht zu sein. Auch ohne Alaunbeize oder Fixierer überstanden einige Teststücke die 60° Wäsche ohne zu verblassen. Einige fehlfarbige Ecoprints mussten auch ein Javellbad über sich ergehen lassen. Doch sie zeigten sich davon grösstenteils unbeeindruckt, die Mehrheit der Farbspuren überlebten sogar diesen Chemieangriff. Wie es um die Lichtechtheit steht, wird sich zeigen.

 

Alles Liebe, Barbara

 

 

 

 

Nachwort:

Mein enges Budget liess mich in früheren Zeiten schier verzweifeln und mehr und mehr resignieren. Es schien mir unmöglich, unter diesen Umständen Kunst machen zu können. Irgendwann versuchte ich es auch gar nicht mehr. Ich winkte müde ab, wenn ein Impuls von innen oder aussen auf mich zukam. Wie sollte ich mir Farben und Malgründe leisten können? Ich fühlte mich wie die Tarotkarte Acht der Schwerter.

 

In dieser Zeit konsumierte ich zahlreichen Content zum Thema Minimalismus. In einem Interview gab ein Frugalist (frugal = sparsam) von sich, dass er Probleme immer erst ohne Geld zu lösen versuchte. Er gab dazu ein Beispiel, dem ich gebannt lauschte. Mir wurde klar, wie ausdauernd, kreativ und frustrationstolerant dieser junge Mann war. Mit welch neugieriger Haltung er die Lösung herbeiführte und sich nicht von Hindernissen beeindrucken oder entmutigen liess. Das hat mich tief beeindruck. In diesem Moment bildete sich das Motto in mir "Wie kann ich meine Bedürfnisse befriedigen ohne Geld?". Das ist jetzt einige Jahre her, und meine Kreativität, Begeisterung, Freude, und das Gefühl von Selbstwirksamkeit ist extrem gewachsen. Die Frage für mich ist: "Was ist schon da?" Dieser Fokus bringt so viel hervor, dass ich es manchmal fast nicht fassen kann. Es fühlt sich für mich an, als würde ich im Schlaraffenland leben.

 

Schau dir unter diesem Gesichtspunkt die entstandene Arbeit an. Alles war bereits da. Ich kaufte zwar im Brockenhaus ein Stück altes Leinen, doch manche Stücke waren auch aus dem Verschenk-Hüsli. Die Bäume werfen aus sich selbst heraus das Laub auf die Strasse. Wo das Eisen herkommt, weisst du nun. Das Wasser fliesst die Aare hinab (oder aus dem Wasserhahn). Die Färbepfanne war über Tutti zu verschenken gewesen. Ja, da wäre dann noch der Strom… Doch alles würde durchaus auch auf einem Feuer im Wald gelingen.

 

Und worauf liegt dein Fokus?


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Kommentare: 1
  • #1

    Susanne (Samstag, 05 November 2022 11:57)

    liebe barbara - ist das ja wieder spannend! habe deine "pflanzensud küsst eisenwasser"-erfahrung gerne gelesen und bin auch sofort wieder inspiriert, neues auszuprobieren...! häbs guet, herzlich susanne