· 

Fundstück 2 - Worte


Gestern Abend fand ich mal wieder den Ausgang aus dem Internet nicht. Ich lag auf dem Rücken in meinem Bett und war zu erschöpft, um schlafen zu gehen. Den Laptop hatte ich wie üblich im rechten Winkel auf meine Brust gestellt und hörte Videos, parallel dazu surfte ich auf Ricardo und meinen bevorzugten Kleiderseiten rum. Dopaminjunkie.

 

Ich war irgendwie beduselt von all diesen akustischen und visuellen Informationen und Eindrücken, die ich mir da reinzog. Bilder strömten gleichförmig an meinen Augen vorbei, Worte plätscherten wie ein stetiger Geräuschefluss an mein Ohr. Mein Gefühl dazu war undefiniert, leicht leer und eher stumpf. Ich empfand genauer gesagt nichts. Was nicht bedeutet, dass es da nichts zu fühlen gegeben hätte, oh nein, ich war einfach an einem anderen Ort als bei mir.

 

Doch plötzlich war ich hellwach. Was war das gerade? Der Inhalt und die Bedeutung der eben gehörten Worte kamen mit leichter Verzögerung in meinem Gehirn an. Ich wechselte sofort den Tab und hörte mir die geäusserten Worte von Raphael Bonelli (Psychiater, Psychotherapeut und Dozent an der Sigmund Freud PrivatUniversität) noch mal an. Das Video mit dem Titel "Narzissmus erkennen: die 3 Merkmale des Narzissten (Raphael Bonelli)" handelt erst von der Machtwippe, die der Narzissten für sich beansprucht, und ab der Minute 20:07 geht es um die Liebe. Dann bei 20:20 der Satz

 

"LIEBE IST IMMER UNGESCHULDET".

 

Wow. Und ich war auf einmal ganz da, aufgerüttelt und ich schloss den Laptop. Mein Fokus war glasklar auf diesem Satz.

 

Nebenbei bemerkt: Die zwei ist meine Lieblingszahl. Doppelt erst recht (ich bin am 02. 02. um 02:05 geboren). Meine Abmachung mit der geistigen Welt ist, dass sie mich damit auf Wichtiges aufmerksam macht und mir Hinweise gibt. Doch dass der Satz von Bonelli bei 20:20 fällt, habe ich erst heute Morgen bemerkt, während ich das schreibe.

 

Ich stand also auf und wechselte vom Bett zum Schreibtisch. Inzwischen war Mitternacht deutlich vorbei, doch schreibend nachzudenken schien mir so wichtig, dass der Schlaf in den Hintergrund trat. Meine gestrigen Fragen und Notizen dazu dienen mir nun als Grundlage für diesen Post.

 

Dass die Liebe in einer Partnerschaft nicht geschuldet ist, war mir bis jetzt völlig klar. Liebe ist ein Geschenk, eine Energie, die nur auf der Basis völliger Freiwilligkeit fliessen kann. Soweit so gut. Doch was ist mit Kindern und deren Eltern? Bis jetzt ging ich tatsächlich unbewusst davon aus, dass man als Kind die Liebe seiner Eltern verdient hätte. Dass die Eltern dem Kind das Geliebtwerden schulden. Und umgekehrt. Doch ich spürte instinktiv, dass Bonelli recht hatte. Liebe ist immer ungeschuldet. Es geht in dem Video um die Anspruchshaltung des Narzissten und woher sie kommt. Das nahm ich zum Anlass, über meine eigene Anspruchshaltung nachzudenken. Das Loch, das sich in einem befindet, wenn man als Kleinkind nicht so geliebt worden ist wie es nötig und richtig gewesen wäre, wenn man sich nie als Nabel der Welt erfahren hat (gesunder Narzissmus; Delia Schreiber), dann, ja dann erwächst daraus eine nie zu befriedigende Anspruchshaltung. Man kann sich sein ganzes Leben damit beschäftigen, diese Leere von aussen zu füllen zu wollen. Was logischerweise nie gelingen kann, denn heute ist heute und das Loch gehört in Vergangenheit.

 

Das führte mich zu der doch eher unangenehmen Selbsterkenntnis, dass ich selbst auch immer wieder eine Anspruchshaltung an den Tag lege. Ich nenne hier ein Bespiel: Ich habe den Anspruch, mit meinen bescheidenen finanziellen Mitteln meine Werte leben zu können. Meine Kaufentscheidungen sind meine in Materie gegossenen Werte. Die lauten dann etwa so: «Natürlich muss es sein, edel dazu, schön sowieso. Gerne bio, fair wäre auch wichtig. Alles andere geht gaaar nicht.» Ja, das stimmt, das alles sind meine Werte. Ich mag weder Poly… noch Kinderarbeit oder chemische Düngemittel in oder an meinem Körper haben. Doch es ist eine Tatsache, dass mein aktuelles Budget dafür zu knapp bemessen ist. Und dass ich im Moment keine (legale) Stellschraube habe, um das zu verändern.

 

Doch wie kommts, dass ich so sehr identifiziert bin mit meinen Werten? Daran auf Biegen und Brechen festhalte, und manchmal dafür sogar Schulden in Kauf nehme? Warum ist das so unabdingbar wichtig für mich, dass ich trotz negativer Folgen nicht davon ablassen kann? Denn eigentlich gilt für mich: Ich bin weder meine Ware noch meine Werte. Ich bin viel mehr als das. Was ist es also dann?

 

Diese gelebten Werte sollen mir und anderen zeigen, wie wertvoll ich bin. Sie sind in meinem bis dahin unbewussten Denksystem «verdichtete Liebe» und sollen mein Vergangenheitsloch füllen.

Anzuerkennen, dass Liebe von aussen nie geschuldet ist, und nicht in dem Masse zu einem geflossen ist, wie man es gebraucht hätte, tut weh. Anzuerkennen, dass die Gelegenheit unwiederbringlich verstrichen ist, ebenso.

 

Um diesen Schmerz abzuwenden, kann man ausdauernd im Aussen Liebe fordern. Von den Menschen, aber auch durch die Dinge, mit denen man sich umgibt. Die signalisieren sollen, dass man wertvoll und liebenswert ist. Das ist jetzt nicht ein Status-Ding, also gründet nicht auf der Angst, hinter den anderen zurückzubleiben, sondern will das eigene Gefühl der Wertlosigkeit, des Der-Liebe-nicht-wert-seins, abwehren.

 

Die einzige Liebe, die mir vielleicht geschuldet ist, ist die Selbstliebe. Und auch da habe ich die Wahl.

Und doch ist diese Art der Liebe meines Erachtens die Möglichkeit, dieses Loch peu à peu zu füllen, das Herz zu erwärmen und selbst zu spüren und zu fühlen, dass man liebenswert ist. Diese Gefühl darf dann in den Körper sinken, uns ausfüllen, und die alte «Realität», der Liebe nicht wert zu sein, überschreiben.

 

Erkennst du bei dir ebenfalls eine Anspruchshaltung? Wo meinst du, etwas zugute zu haben? In welchem Bereich meinst du, etwas stehe dir zu? Ist das wirklich so, auch noch bei genauerem Hinschauen? Wie kommt es dazu, dass du davon ausgehst?  Lass mir einen Kommentar da. 

 

Auf einen Tag voller Selbstliebe und Selbstmitgefühl, Barbara


Kommentar schreiben

Kommentare: 4
  • #1

    Maja (Dienstag, 16 November 2021 17:07)

    Im innen können wir fast alles wohltuende, nährende und liebevolle finden. Nur versteckt es sich halt gern ;) suchen danach lohnt sich immer wieder �

  • #2

    Fluida Indigo (Dienstag, 16 November 2021 17:22)

    Absolut, liebe Maja. Zum grossen Glück gibt es diese Quelle in uns, diesen "Goldraum", der für jeden von uns immer offen offen ist. Wir müssen nur hineingehen. <3

  • #3

    Regula (Freitag, 19 November 2021 09:27)

    Von Herzen Danke für Deine sinnigen, ehrlichen und sehr klaren Worte. Ich kann die Vorgänge dahinter gut nachempfinden. Sich selbstliebend anzuerkennen ist ein zuweilen anspruchsvoller Prozess, den jede Seele an einem gewissen Punkt beschreiten darf, um dann im Aussen erst recht und freier strahlend zu geben, was ihrer gewählten Lebensaufgabe im Dienste der Gesamtheit entspricht. In diesem Sinn: toll für Dich und uns Alle, dass Du diesen Weg mit so offenem Herzen und klarem Blick gehst.

  • #4

    Fluida Indigo (Freitag, 19 November 2021 09:49)

    Vielen Dank, liebe Regula! �